2024 - 675 Jahre Stadtrecht Sonneberg

Vergabe der Stadtrechte an Röthen/Sonneberg

Am 5. Januar 1349 übertrug Gräfin Jutta von Henneberg dem „Städtelyn Röthen unter [der Burg] Sonneberg“ die Stadtrechte wie sie die Nachbarstadt Neustadt bereits besaß, befreite sie vom Besuch des Gerichts Neustadt und erteilte den Einwohnern volles Verfügungsrecht/Erbrecht über ihre Grundstücke. Hinsichtlich strittiger Fragen wurde diese Stadt auf Coburg verwiesen, das 1331 Schweinfurter Stadtrecht erhalten hatte. Vor 675 Jahren ist jedenfalls etwas geschehen. Zwar wurde Sonneberg nicht Stadt – das war die Siedlung mindestens seit 1317 –, aber mit der Rechteübertragung erhielt Röthen/Sonneberg Stadtrechte, wie sie eine der damals bedeutenden städtischen Siedlungen im Raum Coburg bereits besaß.

Das Dokument gibt es heute nur noch in Gestalt späterer Abschriften, ein Original war 1735 im Rathaus noch vorhanden. In der Datumszeile wird der „oberste Abend“ des Jahres 1349 als Datum genannt. Der „Oberste“ war der Dreikönigstag, der „oberste Abend“ der Abend davor, wie der Heilige Abend der Tag vor dem Weihnachtsfeiertag ist. Daraus ergibt sich der 5. Januar 1349 als Ausstellungstag des Dokuments.


Stadt oder Markt?

Was sagt uns das Jubiläum noch heute? Der Begriff „Stadt“ ist anders als der eindeutigere „Markt“ über Jahrhunderte wenig eindeutig. „Die Stadt“ gibt es ebenso wenig, wie es häufig einen nachweisbaren Stadt-Land-Unterschied bei kleinen Städten im späten Mittelalter und auch der frühen Neuzeit nicht.


Stadtrechtsurkunde

Transkription

Wir Juthe vonn gotts gnadenn grefin von Hennebergk, bekennen offentlich ann diesem brif allenn den die ihm sehenn oder horenn lesenn, das wir mit guten vorrath vnnserer dienner der stat zu Rothenn vnter dem hauß zu Sonnebergk habenn gefreyet vnnd freyen ann diesem offenn brif, also das wir in geben vonn vnnser gantzer vollenmacht alle die recht, er vnnd gewonnheit, vnnd freyheit, das die stat zu der Neustat hat, vnnd sollenn auch recht zu Coburgk vnnd nirgent anders suchen. Auch gebenn wir ine eintztlichenn vnnd ire jetzliche besonder , vnnd inn allenn mit einandere erbrecht ann allenn iren rechtenn gutenn, do sie itzunnd aufsitzenn, vnnd innehabenn, vonn aller vnser gewalt, als vorgeschriebenn stehet, sie sollenn auch kein gericht mer suchenn zu der Neustat, als sie vor gethann habenn. Sie sollen auch vnns vnnd vnnseren amptmann gehorsam sein, mit aller gutte, weysung, vnnd rechtenn, vnnd allenn nutze als wir das bißhero habenn bracht vf diesenn heutigen tagk. Des zu einer warenn vrkundt habenn wir vnser insigel ann diesenn brif, do mann zalt vonn Crysti geburt, dreyzehennhundert jar vnnd im neunvndvierzigestenn jare, ann den oberstenn abenth.

(Stadtarchiv Sonneberg/Thomas Schwämmlein)

Transliteration

Wir Jutta, von Gottes Gnaden Gräfin von Henneberg, bekennen öffentlich mit diesem Brief allen den, die ihn sehen oder hören lesen, dass wir mit gutem Rat unserer Diener der Stadt zu Rothen unter dem Haus zu Sonneberg haben gefreit und freien mit diesem offenen Brief, dass wir ihnen geben von unserer ganzen Vollmacht alle Rechte, Ehren und Gewohnheiten und Freiheiten, die die Stadt zu der Neustadt hat, und sollen auch Recht zu Coburg und nirgend anders suchen. Auch geben wir ihnen Erbrecht auf ihren einstigen und jetzigen besonderen und miteinander inne habenden Gütern von unserer Gewalt wie geschrieben steht. Sie sollen auch kein Gericht mehr suchen zu der Neustadt, als sie vorher getan haben. Sie sollen auch uns und unseren Amtmann Gehorsam sein mit allen Güten, Weisungen und Rechten und allem Nutzen als wie es Brauch war bis auf heutigen Tag. Das zu einer wahren Urkunde haben wir unser Siegel an diesen Brief, da man zählt von Christi Geburt dreizehnhundert Jahr und im neunundvierzigsten Jahre, an dem Obersten Abend.

(Stadtarchiv Sonneberg/Thomas Schwämmlein)

Ein Blick zurück auf 675 Jahre Sonneberg

675 Jahre zentraler Ort

Der Geograf Walter Chrystaller (1893-1969) hatte aus dem Netz süddeutscher Städte des Mittelalters und deren überörtlichen Versorgungsfunktionen heraus eine Theorie zentraler Orte, die weitgehend auch heute noch theoretische Grundlage von Landes- und Zentralplanung ist, innerhalb der Sonneberg als Mittelzentrum eingeordnet ist. Zentralität ergibt sich administrativ aus der Funktion als Verwaltungs- und Gerichtsort, 1349 noch einmal geschärft. Seither war Sonneberg eigenständiges (Nieder-)Gericht, nicht zu verwechseln mit der daneben bestehenden Gerichtsbarkeit des Stadtrates.

Zentralität mit der Konzentration gewerblicher Wirtschaft lässt sich an der – für Sonneberg relativ kleinen – Bannmeile ablesen. Innerhalb dieses Sprengels galt das (Absatz-)Vorrecht städtischen Gewerbes, häufig in Gestalt der Bierbrauerei. Zur Sonneberger Bannmeile gehörten die Dörfer Mürschnitz, Bettelhecken und Neufang. Wenn heute Sonneberg Kreisstadt ist, dann hat dies seinen Ursprung – auch – in der Stadtrechtserteilung vor 675 Jahren. Belegbar ist die Bannmeile aus dem Weinbann, wie er im 1340/47 angelegten Urbar (einem Besitzverzeichnis) Graf Heinrichs VIII. von Henneberg erwähnt wurde.

675 Jahre kommunale Selbstverwaltung

Zwar sind 1349 Organe der kommunalen Selbstverwaltung nicht erwähnt, aber zu vermuten. Für Neustadt sind diese bereits 1316 ebenso wie für Coburg und Eisfeld in Gestalt von Gemeinde, Rat und Schöffen benannt. Zwar galt auch hier, dass die kommunale Selbstverwaltung in weiten Teilen Süd- und Westdeutschlands neben den Städten seit dem späten Mittelalter auch in Dörfern bestand, für Sonneberg ist 1349 eine wichtige Marke für die Ausbildung der kommunalen Selbstverwaltung. Die Historiker Karl S. Bader (1905-1998) und Peter Blickle (1938-2017) haben die Selbstverwaltung von Städten und Gemeinden seit dem späten Mittelalter als eine der ältesten Demokratietraditionen dieses Landes benannt.

675 Jahre enge Nachbarschaft zu Neustadt

„Blaupause“ für das Sonneberger, aber auch Rodacher und Schalkauer, Stadtrecht war das Neustadter Stadtrecht. Diese Stadt, gelegen an einem Verkehrsknoten mehrerer Fernstraßen, gehörte mit Coburg und Eisfeld im 14. Jahrhundert zu den bedeutenden Zentralorten in der späteren Pflege Coburg. Neustadt war lange Zeit (bis ins 17. Jh.) die bedeutendere Stadt. Beide Städte teilen aber, dass sie nie fürstliche Residenz waren und deren Selbstverständnis aus einer eigenen gewerblich/industriellen Entwicklung geschöpft haben. Hier liegt auch eine sehr lange Kontinuitätslinie.

Die Welt vor 675 Jahren: Klimakrise, Wirtschaftskrise, Pandemie

Die Welt vor 675 Jahren war eine Welt der Krisen. Die „kleine Eiszeit“ beendete das seit dem 10./11. Jahrhundert anhaltende hochmittelalterliche Klimaoptimum. An der Peripherie Europas bedrohten aggressive Reiter-Völker weite Teile des Kontinents und mit dem schwarzen Tod, der Pest, eskalierte Mitte des 14. Jahrhunderts eine globale Pandemie.

Die Krise war durchaus auch lokal zu bemerken. Die auf kleine Eiszeit und Pest folgende Aufgabe von kleineren Siedlungen, die zu Wüstungen wurden, lässt sich auch um Sonneberg verzeichnen. Aufgegeben wurden bspw. die Dörfer Altenröthen (etwa auf Höhe des heutigen Stadtparks), Schönberg (in der Grube bei Oberlind), Hinterneufang (nördlich Neufang) oder das alte Dorf (etwa beim Stadtgebiet Wolkenrasen II).

Die hennebergische Landesherrschaft litt permanent unter Finanznot und musste Städte/Ämter/Zölle verpfänden. Temporär profitierten davon niederadlige Familien wie die Herren von Schaumberg, die aber langfristig gegenüber der Landesherrschaft verloren. Die Landesherrschaft – vor Ort die Henneberger und ab 1353 die Wettiner – begründeten die für die Bundesrepublik bis heute prägende föderale Struktur. Und im Umfeld Sonnebergs setzte im 14. Jh. eine gewerbliche Entwicklung ein, erste Glashütten entstanden, das Massenprodukt Pech, das Eisengewerbe und das später bedeutsame Exportgewerbe der Wetzsteinfabrikation prägten das Sonneberger Land als Gewerberegion.

Demografische und wirtschaftliche Krisen, Klimawandel und seine Auswirkungen, aber auch eine gewerbliche Entwicklung – das 14. Jahrhundert ist zwar weit her, aber doch auch ziemlich nahe. Als „Der ferne Spiegel“ hatte die US-amerikanische Historikerin Barbara Tuchman (1912-1989), sie hat übrigens fränkische Wurzeln, ihre Geschichte des 14. Jahrhunderts überschrieben. Als „ferner Spiegel“ darf auch das Jahr 1349 in Sonneberg „gelesen“ werden.

Text: Kreisheimatpfleger Thomas Schwämmlein (Abdruck, auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Autoren)

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